Unter Wissenden — Begegnungen auf Augenhöhe
Bildungsveranstaltungen für Geschwister
Heike Will
Seit es Bildungsangebote der Deutschen Kinderhospizakademie
gibt, richten sich auch eigene Formate an die Geschwister von
jungen Menschen mit lebensverkürzender Erkrankung. Auch
die Geschwister sehen sich schon sehr früh mit Verlusterfahrungen
und Gefühlen und Erleben rund um Erkrankung, Sterben,
Tod und Trauer konfrontiert. Eine große Herausforderung
besteht für sie oft darin, wesentlich früher als Gleichaltrige
Verantwortung im Familienkontext zu übernehmen; gleichzeitig
erfahren sie in ihrem sozialen Umfeld wenig Verständnis
dafür, was sie erleben und fühlen.
In den Seminaren und Geschwisterbegegnungen haben sie die
Möglichkeit, andere junge Menschen mit ähnlicher Lebenssituation
zu treffen und sich mit ihnen über ihre Gedanken,
Gefühle und Erfahrungen auszutauschen. In einer Gemeinschaft
von „Wissenden“ können sie ihre eigene(n) Rolle(n) in
der Familie reflektieren, ihre persönlichen Grenzen spüren
und benennen und mit ihren Ressourcen in Kontakt kommen.
So können sie aus ihrer Rolle in der Familie auch Stärke
ziehen, Wertschätzung erleben und Selbstwert und Eigensinn
erfahren, wenn sie sich als wichtige eigenständige Mitglieder
im Familienverband erleben und zugehörig fühlen. In dieser
Lebensphase des Jugendalters, die per se durch Umbrüche
und Herausforderungen geprägt ist, können die Geschwisterangebote
die Mädchen und Jungen dabei unterstützen, ihren
eigenen Platz in der Familie und in der Gesellschaft zu finden,
und ihnen neue Spielräume eröffnen, mit den eigenen Gefühlen
und Bedürfnissen im Zusammenleben mit ihren lebensverkürzend
erkrankten Schwestern und Brüdern umzugehen.
So kann die Gruppe als tragende Gemeinschaft und sicherer
Ort erlebt werden, an dem die persönlichen Ängste und
Wünsche, Träume und Hoffnungen gut aufgehoben sind.
Gefühle der Isolation können so aufgebrochen und eine
nachhaltige Vernetzung im Alltag installiert werden.
Zu Beginn eines jeden Seminars schließen die Mädchen und
Jungen einen Vertrag miteinander, in dem sie die Regeln für
die gemeinsame Zeit festhalten und anschließend alle unterschreiben.
Die Regeln werden gut sichtbar im Seminarraum
aufgehängt und alle können sich darauf berufen, falls Regeln
verletzt werden. Das ist eine wichtige Voraussetzung dafür,
sich sicher zu fühlen und öffnen zu können und stellt einen
Akt der Selbstverpflichtung und Selbstbestimmung dar.
Mit kreativen Methoden und Biografiearbeit werden die Geschwister
eingeladen, über ihre eigene Geschichte zwischen
Kindheit und Erwachsenwerden nachzudenken und sich
darüber auszutauschen, wer oder was sie darin bestärkt, ihren
ganz eigenen Weg zu suchen und zu gehen. Im Vordergrundstehen
dabei die Auseinandersetzung mit den Erfahrungen des
Geschwisterseins und die Annäherung an das eigene Ich, die
eigene Persönlichkeit, das Suchen, Finden und Vertrauen in
die eigenen Stärken. Im Team geht es darum, zusammenzuarbeiten,
die individuellen Kompetenzen in die Gruppe einzubringen,
um Erfolg zu haben. Ziel ist es, die eigenen Grenzen
zu testen und Ängste zu überwinden, neue Herausforderungen
anzunehmen und die gemachten Erfahrungen in der Gruppe
zu reflektieren und Parallelen im Alltag zu finden.
Ich bin dankbar für alle Geschwisterbegegnungen, die ich
bisher erleben durfte. Das Unterwegssein mit den Mädchen
und Jungen lässt mich immer wieder Neues lernen — von
diesen wunderbaren jungen Persönlichkeiten.
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