Dem Leben auf den Grund gehen
Philosophische Cafés
Peter Wirtz
Immer dort, wo uns Menschen bewusst wird, wie zerbrechlich unser Leben ist, drängen sich uns Fragen
nach dem Sinn des Lebens auf. Die grundlegendsten sind die, warum wir auf dieser Welt sind,
und warum wir sie irgendwann wieder verlassen müssen. Und schnell merken wir,
dass sich ein ganzer Katalog an diese Fragen anschließt.
Wann ist unser Leben ein gutes, glückliches Leben?
Was brauchen wir an äußeren Voraussetzungen,
damit wir ein glückliches Leben führen können?
Freundschaft?
Erfolg?
Die Anerkennung unserer Menschenwürde durch andere?
Und welche inneren Voraussetzungen sind erforderlich,
um gut zu leben? Welcher Haltungen und Lebens-
einstellungen bedarf es hierfür? Der Hoffnung?
Des Muts?
Der Gelassenheit?
Schon früh widmete sich die Deutsche Kinderhospizakademie
diesen Fragen. Sie tat dies in Form „Philosophischer Cafés“,
einem Veranstaltungstyp, der in den 80er Jahren des letzten
Jahrhunderts in Frankreich entstanden war. Fragen nach Sinn
und tieferer Bedeutung von Dingen, die für Menschen wichtig
sind, werden nicht in Form von Vorträgen oder Seminaren,
sondern sehr gemütlich während des gemeinsamen Kaffeetrinkens
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besprochen. In dieser unverkrampften Atmosphäre
kann jeder seine Meinung sagen, eigene Erfahrungen schildern
oder einfach nur zuhören. Die Moderation des Gespräches
stellt sicher, dass das eigentliche Anliegen, nicht oberflächlich
zu reden, sondern gemeinsam in die Tiefe zu gehen, nicht aus
den Augen gerät.
Wenn Menschen sich über grundlegende Fragen ihres Lebens
unterhalten, stellen sie schnell fest, dass sie zunächst klären
müssen, ob sie das gleiche Verständnis von dem haben,
worüber
sie sprechen wollen. Wenn wir z.B. darüber reden
wollen, wie wichtig Liebe in unserem Leben ist, müssen
wir uns zunächst fragen, was für uns der Begriff „Liebe“
beinhaltet.
Meinen wir die Liebe zum Partner, zum Kind, zu
allen Menschen? Ist Liebe immer selbstlos oder darf ich auch
auf mein eigenes Wohl achten? Gibt es ein Recht auf Liebe?
Gibt es die Pflicht, immer liebevoll zu handeln?
In einem Philosophischen Café fragen wir deshalb immer
zuerst, was das Thema, über das wir uns austauschen wollen,
eigentlich bedeutet?
Was verstehen wir unter Begriffen wie
„Krankheit“, „Angst“, „Trauer“, „Mut“
oder „Lebensqualität“?
In der gut zweitausendfünfhundertjährigen Geschichte der
Philosophie haben kluge Frauen und Männer sehr gründlich
über diese Fragen nachgedacht. Am Beginn eines Philosophischen
Cafés lassen wir uns von ihren Antworten inspirieren,
indem einige Zitate von Philosophen vorgelesen werden, mit
deren Betrachtung das gemeinsame Gespräch beginnt.
Zustimmung oder Widerspruch führen schnell in eine lebendige
Diskussion.
In den 15 Jahren ihres Bestehens hat die Deutsche Kinderhospizakademie
fast 50 Philosophische Cafés zu vielen
wichtigen Fragen durchgeführt. Alle fanden in Kooperation
mit ambulanten Kinder- und Jugendhospizdiensten statt. Teilgenommen
haben Eltern und ältere Geschwister von Kindern
mit lebensverkürzender Erkrankung, haupt- und ehrenamtlich
Engagierte sowie viele Menschen, für die dies die erste Begegnung
mit der Kinder- und Jugendhospizarbeit war. Viele von
ihnen sind mit mehr offenen Fragen nach Hause gegangen,
als sie mitgebracht haben. Aber für alle sind es bereichernde
Gespräche, die weit über die Veranstaltung hinaus ins eigene
Leben und Denken wirken.